Corona-Virus Lombardei

Lombardei: Ärztin berichtet über ihre Erfahrungen 

Dr. Dagmar Herminghaus ist niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin in Toscolano-Maderno am Gardasee (Region Lombardei). Wir haben mit ihr über die aktuelle Situation, die größten Probleme und erste Lösungsansätze gesprochen. 

Lesedauer: 3,5 Minuten                                                 Interview: Marina Urbanietz

 

Was können Sie zur aktuellen Lage in Italien und vor allem in der Lombardei sagen? 

Dr. Dagmar Herminghaus, Ärztin für Allgemeinmedizin

Dr. Herminghaus: Bei uns in der Region gibt es aktuell nicht so viele Fälle wie z.B. in Bergamo. Aber durch das Krankenhaus direkt in unserer Nähe haben wir auch hier viele Infizierte aus anderen Provinzen. Die Lage ist jetzt wirklich ernst – aktuell sind wir am Limit. In erster Linie sind Brescia, Bergamo und Mailand betroffen. Der erste stark betroffene Ort Codogno meldet hingegen seit einigen Tagen keine Neuansteckungen mehr. Dort erfolgten die Maßnahmen sehr schnell: über 90% der Bevölkerung durften ihre Häuser nicht verlassen. Dies können wir hier immer noch nicht erreichen, weil viele Menschen noch immer nicht verstanden haben, wie ernst die Lage eigentlich ist. 

Wie ist die aktuelle Situation in Ihrem Ort? 

Dr. Herminghaus: Ich wohne in Toscolano-Maderno, einer Stadt mit ca. 8.000 Einwohnern. Wir haben 6 bestätigte Fälle und einige Patienten in der häuslichen Quarantäne, die die entsprechende Symptomatik aufweisen, jedoch nicht getestet wurden. Wir haben aktuell so gut wie keine Tests, deswegen ist die Dunkelziffer sicherlich viel höher.  

Nach den aktuellen Auflagen dürfen wir auch nicht mehr spazieren gehen (nur Einkäufe, Apothekenbesuche und Notfälle). Man darf sich maximal 100 Meter vom eigenen Haus entfernen. Dies wird auch immer schärfer kontrolliert – zurecht, weil viele sich daran nicht halten. 

Was meinen Sie, warum ist gerade die Lombardei so stark vom Coronavirus betroffen? 

Dr. Herminghaus: Der erste Herd war in Codogno, in der Nähe von Cremona und Mailand. Das sind Orte mit viel Industrie und vielen großen Fabriken. Dies begünstigt natürlich die Virusausbreitung. 

In meiner Praxis hatte ich im November und Dezember viele Grippefälle. Anfang Januar kamen jedoch immer wieder Patienten mit den typischen Grippe-Symptomen, die aber auf die Therapie nicht ansprachen. Damals waren in Italien noch keine offiziellen Coronafälle gemeldet. Aber heute denke ich, es könnten bereits Anfang Januar die ersten Patienten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert gewesen sein. 

Was denken Sie, warum ist die Sterberate in Italien so hoch? 

Dr. Herminghaus: Wir haben sehr viele alte Menschen – jedenfalls im Vergleich zu China. Zudem wurde in unserem Gesundheitssystem in den letzten 20-25 Jahren extrem gekürzt. Dadurch haben wir heute zu wenig Kapazitäten im intensivmedizinischen Bereich. Und dabei sprechen wir über Norditalien, mit einem grundsätzlich viel besseren Gesundheitssystem als im Süden des Landes.  

Wie ist die derzeitige Situation an Ihrer Praxis? 

Dr. Herminghaus: Am Anfang der Epidemie in der Lombardei hatten wir sehr viele Patienten. Seit die Lombardei zur Sperrzone erklärt wurde, haben wir unser Patientenaufkommen extrem reduziert und arbeiten aktuell als eine reine Bestellpraxis. Heute lassen wir maximal einen Patienten im Wartezimmer warten, während ein anderer beim Arzt im Sprechzimmer ist. Patienten mit Anliegen, die über Telefon, E-Mail und WhatsApp erlegt werden können, kommen gar nicht mehr in die Praxis. Alle anderen müssen erst einmal draußen warten. 

Wo gibt es aktuell die größten Probleme? 

Dr. Herminghaus: Wir haben nach wie vor nicht genug Schutzmasken. Ich hatte für die letzten drei Wochen nur 2 Masken. Auch meine Patienten haben mir bereits ihre Masken geschenkt, die sie noch irgendwo zuhause hatten. 

Ein weiteres Problem ist die Bürokratie, die für diese Krisensituation nicht zentral geregelt werden konnte. Vor allem am Anfang der Epidemie gab es viele Fragen, die uns niemand beantworten konnte. Mittlerweile werden wir durch unsere Kassenärztliche Vereinigung gut informiert. 

Mehr zur aktuellen Situation in Italien lesen Sie auch in unserem Beitrag Covid-19 in Italien: „Jeden Abend schaut man sich den Verlauf der Daten an und hofft”

Was würden Sie deutschen Ärzten empfehlen? 

Dr. Herminghaus: Meine wichtigste Empfehlung an deutsche Ärzte ist es, das Patientenaufkommen in den Praxen drastisch zu reduzieren und möglichst auf digitale Lösungen umzusteigen. Wir haben hier bereits viel zu viele Fälle von Kolleginnen und Kollegen, die sich bei Patienten angesteckt haben und ihre Praxen schließen mussten. 

Ihre Einschätzung: Wann wird sich die Lage in Italien stabilisieren? 

Dr. Herminghaus: Wenn die strengen Regularien weiterhin eingehalten werden, wird die Zahl der Infizierten nach einer Woche fallen und nach 20 Tagen können vielleicht auch die Krankenhäuser etwas durchatmen. 

Was sollte in Deutschland passieren, damit eine Ausbreitung des Virus eingeschränkt werden kann?  

Dr. Herminghaus: Wichtig sind auf jeden Fall angemessene Schutzmaßnahmen – in erster Linie für Ärzte und Medizinpersonal, aber auch für Apotheker und Mitarbeiter in den Supermärkten. Wir hatten dies nicht gleich sichergestellt, wodurch sich einige Mitarbeiter an den Supermarktkassen infiziert haben.